PARADOX DER EMANZIPATION

(1980 geschrieben als ich 28 war)

II.C Die Therapieform in der AAO

Der Zweck einer Therapieform war zweifach. Erstens sollte sie Konflikte und Probleme lösen, die zwei oder mehr Menschen in ihrer Kommunikation haben könnten. Zweitens war die persönliche Entwicklung des Einzelnen ein Ziel. Beides gehört zusammen, was sich auch in den angewandten Methoden widerspiegelt.

Zwei Bücher vom Wilhelm Reich bildeten die theoretische Grundlage, bevor sie 1970 begannen: „Die Funktion des Orgasmus“ und „Charakteranalyse“. Anfangs arbeiteten sie ausschließlich mit gegenseitiger Einzeltherapie. Diese begann, wie Reich es tat, mit dem körperlichen Ausdruck. Reich arbeitete analytisch mit zwei Konzepten, die einander entsprachen.

Unterdrückte Emotionen fanden ihren körperlichen Ausdruck in dem, was Reich den Muskelpanzer nannte. Beispielsweise konnte sich eine unterdrückte Angst vor Autoritäten im Körper als verspannter Schultermuskel ausdrücken. So fand Reich verspannte Muskeln im ganzen Körper, die unterdrückte und verdrängte Emotionen zurückhielten. Bestimmte Muskel- und Körperteile entsprachen oft, aber nicht immer, bestimmten Emotionen, die in unserer Sprache zum Ausdruck kommen. So spricht man vom „Verschlucken“ einer Emotion, z. B. Weinen. Durch die Arbeit an bestimmten Nackenmuskeln kann man Weinen auslösen.

Reich nannte dieses gesamte körperliche Abwehrsystem, das der Mensch um sich herum aufgebaut hatte, den Muskelpanzer. Die entsprechende emotionale psychische Abwehr, die sich im Charakter oder der „Persönlichkeit“ des Menschen ausdrückte, nannte er den Charakterpanzer. Diese beiden Panzer gehörten zusammen, und er betonte, dass es in der konkreten Behandlung notwendig sei, an beiden gleichzeitig zu arbeiten.

Die Technik, die wir in AAO in guter Übereinstimmung mit Reich anwandten, bestand zunächst aus einem kräftigen Atemzug, der oft blockierte Energie und Emotionen löste. Spürte der Therapeut eine Blockade, die der Klient nicht leicht überwinden konnte, setzte er körperliche Gewalt in Form von Massage oder Druck so stark ein, dass der Klient keinen Widerstand leistete.

Zusätzlich zur Einzeltherapieform hatte die Gruppe in Österreich, inspiriert von einem Film über einen primitiven afrikanischen Stamm und der chinesischen Meditationsform Tai Chi, eine Gruppentherapieform „erfunden“, die im Gegensatz zur Einzeltherapieform öffentlich in der Gruppe stattfand. Jeden Abend traf sich die gesamte Gruppe in einem Kreis mit einem Raum in der Mitte. Dieser diente als Forum für die emotionale Kommunikation des Einzelnen mit dem Rest der Gruppe.

Die erfahrenste Person leitete oder unterstützte die Person in der Mitte. Ziel war es, dass die Person versuchte, sich so ehrlich wie möglich und ohne Einschränkungen zu präsentieren. In der Regel bestand dies zu Beginn der Entwicklung aus emotionalen Ausbrüchen mit heftiger Gewalt wie Angst, Hass und Weinen. Die Person versuchte, die Präsentation so gut wie möglich auf traumatische Erlebnisse oder Situationen in der Kindheit zurückzuführen, um die verdrängten Gefühle wieder in die ursprüngliche Bindung zu bringen.

Diese öffentliche gruppentherapeutische Präsentation wurde „Selbstdarstellung“ genannt und dauerte jeden Abend zwei bis drei Stunden.

Der Mangel an Liebe seitens der Eltern äußerte sich meist in heftigem Hass auf sie, den nur wenige Menschen zu äußern gewagt hätten, wenn sie physisch anwesend gewesen wären.

Diese Form der Präsentation ansonsten tabuisierter Selbstbereiche erforderte eine sehr vertrauensvolle Atmosphäre, die glücklicherweise auch vorhanden war. Was wir in dieser Gesellschaft normalerweise nicht wagen, nämlich uns zu „entblößen“, war also der Zweck dieser Therapieform.

Das Ziel der Therapie war in den frühen Jahren, d. h. bis 1977, Katharsis und Ekstase. Ein kraftvolles „Ausleben“ emotionaler Blockaden galt als heilsam. Diese Idee war auch in anderen neueren Psychotherapien im Westen weit verbreitet und ist es in manchen Schulen – z. B. Janovs Primärtherapie – teilweise noch immer.

Da die Betroffenen viele emotionale Blockaden aufwiesen, war es schwierig zu bestimmen, ob dieses permanente Ausleben von Emotionen heilsam war oder nicht. Janov schrieb unter anderem, dass es oft notwendig sei, ein „Primär“ (eine konzentrierte Schlüsselwahrnehmung, z. B. Angst) bis zu 30 Mal zu erleben, bevor die betreffende Emotion aus dem psychischen System „gelöscht“ sei. Daher vertieften sich die Menschen weiterhin in die schmerzhaften Erfahrungen der Kindheit in der Hoffnung, dass diese irgendwann enden würden.

Dieses Modell beinhaltete unter anderem eine spezifische Abfolge verschiedener unterdrückter Grundgefühle wie Aggression, Angst, Sehnsucht und infantilen Hass, die mit dem Geburtserlebnis endete. Später stellte sich heraus, dass dieses theoretische Modell die weitere Arbeit behinderte. Man hatte sich gewissermaßen in ein spezifisches Wahrnehmungsmuster möglicher Wahrnehmungen der menschlichen Psyche eingesperrt.

Wenn andere Wahrnehmungen als die des Modells zum Ausdruck kamen, wurden sie entweder verdrängt oder in den etablierten Verständnisrahmen kanalisiert. Auf diese Weise wirkte die etablierte Theorie als Hemmer für die Erfahrungen, und die Erfahrungen verstärkten die Theorie selbst. Leider ermöglichte dies das Erleben anderer Phänomene, wie beispielsweise sogenannter transzendenter Wahrnehmungen.

Ein weiterer Zweck sowohl der Einzeltherapie als auch der Selbstdarstellung war die künstlerische Darstellung des eigenen Charakters. Konkret bedeutete dies, dass die Person verschiedene Rollen spielte, entweder allein oder mit anderen. Dies entwickelte sich allmählich zum Schauspiel, nicht im negativen Sinne, sondern in dem Sinne, dass die Person ihre eigenen Rollen so gut kannte, dass sie sie mit einer gewissen Distanz und Ironie darstellen konnte.

Mit dieser ironischen Haltung gegenüber der eigenen Rolle, die dadurch bewusst geworden war, war man nicht länger von ihr abhängig. Nun war es nicht mehr die Rolle, die einen kontrollierte, sondern jemand, der die Rolle kontrollierte. Und das war in hohem Maße ein sehr wichtiger Moment in meiner persönlichen Entwicklung, da ich immer mehr „Herr im eigenen Haus“ wurde, wie Freud es ausgedrückt hatte.

Die Rollen, die wir alle in unterschiedlichen Situationen in der Kommunikation mit anderen oder auch mit uns selbst spielen, sind wir uns nicht bewusst. Wir empfinden unser Verhalten als „natürlich“ und denken nicht darüber nach, dass es sich dabei um eine erlernte Rolle handeln könnte.

Einige wurden in diesem Spiel allmählich so meisterhaft, dass sie nicht nur ihre eigenen Rollen, sondern auch die anderer zur großen Freude des Publikums spielen konnten. Es war daher eine natürliche Folge, dass viele der Gruppen Theatergruppen gründeten, die öffentlich auftraten.

Die von der Gesellschaft geschaffene Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Bereich sollte nach dem Motto „Raus mit allem Privaten“ abgeschafft werden, was im Prinzip Freuds „Wo es war, soll ich verden“ entsprach. So verschwand ein Großteil der privaten Natur der Psyche, da in der Selbstdarstellung alles außer körperlicher Gewalt erlaubt war. Sich unkontrolliert dem eigenen Unbewussten hinzugeben, war anfangs besonders schwierig und ging insbesondere mit der infantilen Angst einher, nicht in seiner Gesamtheit akzeptiert zu werden.

An dieser Stelle möchte ich kurz eine These beschreiben, die in weiten Teilen der westlichen Psychotherapie verbreitet ist. Diese Therapieform konzentriert sich auf vergangene negative Wahrnehmungen, die als Hauptursache für psychische Erkrankungen gelten. Die AAO verfolgte dies etwa fünf Jahre lang, bis sie feststellte, dass das permanente „Ausagieren“ negativer Emotionen diese nicht verschwinden ließ.

Dann änderte sich die Strategie, sich auf positive Emotionen zu konzentrieren und diese zu verarbeiten, doch auch dies brachte nicht den gewünschten Heilungseffekt.

In der Ideologie der westlichen Psychotherapie (inkl. der AAO) liegt eine implizite Hypothese, die ihre Wurzeln in einer wissenschaftlichen Sichtweise des Menschen als Maschine hat. Der Mensch wird als energetisches System betrachtet, das ähnlich wie eine komplizierte Maschine funktioniert. Dieses Verständnis teilten auch die frühen Psychoanalytiker, die immer wieder betonten, dass es sich bei ihrer Arbeit nicht um Mystik, sondern um Naturwissenschaft handele.

Die These lautet kurz: Dem „natürlichen Menschen“ wurde Schmerz zugefügt, den er oft unterdrücken musste. Diese Unterdrückung ist für die Disharmonie im gesamten menschlichen System verantwortlich. Die Unterdrückung wird als eine von außen kommende Energie wahrgenommen, die – nachdem sie in den menschlichen Mechanismus eingedrungen ist – immer noch als eine vom ursprünglichen „natürlichen Menschen“ unabhängige Energie betrachtet und behandelt werden kann.

Diese These und dieser Gedankengang sind meiner Meinung nach eine rein analytische Denkweise, und die Methode zur Aufhebung der Unterdrückung ist ebenso analytisch. Die Methode zur Aufhebung der Unterdrückung besteht gemäß der westlichen Psychotherapie darin, die unterdrückten Gefühle auszudrücken, und dann sollte der geheilte „natürliche Mensch“ wieder zum Vorschein kommen.

Ich werde hier nicht näher darauf eingehen, sondern im Rahmen der Diskussion zwischen westlicher und östlicher Psychotherapie darauf zurückkommen. Ich erwähne es hier jedoch, um die Therapieform der AAO und ihre Folgen besser zu verstehen.

Therapie und Selbstdarstellung waren ein sehr wichtiges Element in den Inhalten dieser Gruppe. Jeder war in seiner Entwicklung auf Therapie angewiesen, und daher wurden gute Therapeuten hoch geschätzt. Die oben erwähnte These und die mechanische Menschensicht führten dazu, dass Therapie den Charakter einer reinen Technik annahm. Unter dieser Prämisse wurde im Namen der Rationalität die effektivste Therapieform angestrebt.

Anfangs gab es nur wenige Therapeuten, was ihnen zwar ein hohes soziales Ansehen verschaffte, aber auch eine sehr monotone Arbeit und keine unmittelbare Bezahlung in Form von Geld bedeutete.

Die soziale Struktur der AAO


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