PARADOX DER EMANZIPATION

(1980 geschrieben als ich 28 war)

II.B Die ökonomische Struktur in der AAO

Alle persönlichen Besitztümer der einzelnen Mitglieder wurden in den gemeinsamen Fonds der Organisation überführt und von dort aus verwaltet. Die Idee, sich so weit wie möglich von der umgebenden kapitalistischen Wirtschaft zu lösen, führte zur Gründung eigener Unternehmen, die die Gruppen materiell unterstützten. Diese Unternehmen bestanden aus Bekleidungsgeschäften, die aus den USA importierte Kleidung verkauften, Transportunternehmen, Malerbetrieben und Restaurants.

Aufgrund des geringen Anteils an qualifizierten Arbeitskräften – oft völlig unqualifiziert – mussten wir oft 10 bis 12 Stunden am Tag arbeiten, um über die Runden zu kommen. Die Wirtschaft war nicht sehr gut kontrolliert, da zu Beginn aufgrund des gemeinsamen Privateigentums der einzelnen Mitglieder ein relativ großes Vermögen vorhanden war. Erst später, insbesondere 1978, erkannten die bereits erwähnten Wirtschaftsexperten, dass es so nicht weitergehen konnte. Es stellte sich heraus, dass das gemeinsame Eigentum und die gemeinsame Wirtschaft in vielen Fällen zu Verantwortungslosigkeit und Geldverschwendung führten.

Wenn jemand einen Fehler machte, musste er nicht selbst dafür bezahlen – wie es in einer kapitalistischen Gesellschaft der Fall wäre –, sondern die Gruppe. Die Erfahrung zeigte leider, dass die Gruppe für viele zu einer neuen „Ersatzmutter“ wurde, die somit als soziales Sicherheitsnetz funktionierte. Meiner Einschätzung nach liegt der Grund für dieses Verhalten nicht in der Struktur selbst, d. h. im Gemeineigentum und der Wirtschaft, sondern in der mangelnden psychologischen Entwicklung des Einzelnen. So gab es in den Gruppen viele, die sich in ihrer Arbeit wirklich für die gesamte Gruppe oder Organisation verantwortlich fühlten, aber ihre Zahl war 1977 zu gering.

Im Zusammenhang mit dieser Wirtschaftsstruktur baute sich eine Bürokratie auf, die für fast alle wie ein Entfremdungsmechanismus wirkte. Das Produkt der eigenen Arbeit verschwand oft in einem undurchsichtigen System. Ob es an mangelndem Feedback oder einem anderen technischen Mangel lag, kann ich nur schwer sagen, aber die subjektive Wahrnehmung war zumindest ein gewisses Gefühl der Entfremdung durch eine größere Bürokratie. Ich werde darauf zurückkommen.

Es stellte sich heraus, dass die meisten Unternehmen nicht wettbewerbsfähig waren, und die Folge davon war, dass im März 1978 beschlossen wurde, Privateigentum sowohl an Produktionsmitteln als auch an anderen materiellen Gütern wieder einzuführen.

Nach etwa fünf Jahren des Experimentierens mit einer gemeinsamen Wirtschaft war die AAO der Ansicht, dass die privatkapitalistische Wirtschaft besser sei. Eine relevante Frage in diesem Zusammenhang muss sein: Entspricht die kapitalistische Wirtschaft mit ihrer Marktform, der individuellen Produktion durch unabhängige Produzenten und dem Wettbewerb zwischen ihnen besser der „menschlichen Natur“ als eine andere Produktionsform?

Und damit müssen wir uns fragen, ob es wissenschaftlich überhaupt tragfähig ist, eine Antwort auf diese Frage aus diesem „Mini-Experiment“, das die AAO war, zu suchen?

Ich werde auf die Beantwortung und Diskussion dieser Fragen zurückkommen, da das Verständnis der Antwort der AAO eine genauere Kenntnis anderer Erfahrungen dieser fünf Jahre voraussetzt.

Nach der Wiedereinführung des Privateigentums wurde berechnet, wie viel das Leben in der Gruppe kostete, und jeder, der weiterhin in der Gruppe leben wollte, musste nun selbst herausfinden, wie er das nötige Geld aufbringen sollte.

Die AAO selbst bezeichnete diesen Niedergang als einen realistischeren Entwicklungsschritt. Ihrer Meinung nach hatte sich die gemeinsame Wirtschaft als Illusion, als Utopie im wahrsten Sinne des Wortes erwiesen. Die meisten kehrten zu ihrem Beruf zurück, den sie vor ihrem Eintritt in die Gruppe ausgeübt hatten. Einige nahmen ihr Studium wieder auf, andere wurden interne Arbeiter in der Gruppe selbst, die ihre Arbeit bezahlte. Die einzelnen Gruppen, die während der Zeit des Gemeineigentums voneinander abhängig waren, wurden nun unabhängig voneinander, was den einzelnen Gruppen deutlich mehr Entscheidungsfreiheit verlieh. Jede Gruppe hatte einen Gruppenleiter, dessen Hauptaufgabe darin bestand, die psychologische Entwicklung der Mitglieder zu begleiten und an wichtigen Gruppenentscheidungen mitzuwirken. Wer, wo und wann die Gruppenleitung übernahm, wurde zentral vom Zentrum Friedrichshof in Österreich aus bestimmt.

Auf die Beschreibung der Entscheidungsprozesse und der damit verbundenen Hierarchie werde ich in der Therapiebeschreibung eingehen, da sie unter diesem Aspekt leichter verständlich ist.

Der Beschluss vom März 1978, das Gemeineigentum und die Gemeinwirtschaft abzuschaffen, machte die AAO-Organisation selbst überflüssig und wurde aufgelöst. Die einzelnen Gruppen wählten daraufhin ihre eigenen Namen.

II.C Die Therapieform in der AAO


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